2019, 2019
Akzeptanz des Zufälligen
Jedes Ordnungssystem beweist Konsequenz in der Ausnahme. Matten Vogels Werkproduktion wird aktuell von Rasterungen und Linienbildern bestimmt. Ein Raster ist bei ihm aber kein Gefängnis, sondern ein atmendes Gefüge, das Verstecke und Normüberschreitungen des Bildners ermöglicht und, weil es die Areale des Ungewissen berührt, nach immer neuen Enttäuschungen ruft. Derzeit sind Vogels Raster in Auflösung begriffen. Sie nähren Zweifel an der Erkenntnisgewissheit. Sie kommen aus einer stringenten Vergangenheit und suchen nach einer organischen Gegenwart. Sie stoßen in den Raum vor und beginnen zugleich zu taumeln. Sie beginnen zu schwanken und versetzen auch uns in einen Schwingungszustand, der die Dualität von Materie und Geist berührt und dazu führt, dass wir uns anders erfahren. Matten Vogel verschiebt Perspektiven. In der „Rasterkorrektur“ (2019) markiert er auf dem Bildgrund zuerst ein Schema, dann reißt er die Markierungen dafür weg, worauf sich gewisse Makel ergeben, die daraufhin wieder korrigiert werden, nicht wirklich penibel, eher vorsichtig tastend, aber mit offenem Sensorium. Noch in den jüngsten Bildern walten Kräfte des unbewusst Gesteuerten, die ihre Energien aus dem Spalt zwischen Fehler und Korrektur in die Wirklichkeit treten lassen. Jedes Bild ist Teil einer Suchbewegung, einer Selbstverständigung des Künstlers über die Notwendigkeit und Folgerichtigkeit künstlerischer Entscheidungen und das dahinterstehende Warum. Balance in der Anmutung und Schwanken gehören zusammen. Der minimale Eingriff ist Teil der Bilduntersuchung und er ist die Voraussetzung für weitere Forschungen. Der flackernder Blauton in „vBmgwL“ (2019) beispielsweise ist das knisternde Potential einer außergewöhnlichen Komposition. Die Zeit scheint aufgehoben, und trotzdem will der Eindruck ständigen Umarbeitens und Vorwärtsdrängens nicht weichen.
Vogels Linienbilder schauen uns mit einer solchen Coolness an, dass man nicht weiß, ob sie unsere Fragen überhaupt registriert haben. Sie sind schillernde Gitter-Gebilde, die zum einen unsere Wünsche erfüllen, also nicht gänzlich rein, glatt und perfekt zu sein, und zum anderen Widerstände entwickeln, damit wir von unseren Wünschen nicht vollends regiert werden. Manches tritt abweichend und schief in Erscheinung, Linienbündel wurden bewusst ineinander verdreht, uns Zufallsgäste auf Erden aus der Fassung zu bringen.
Matten Vogel ist mindestens so oft unterwegs im Konstruktiven wie er das malerische Ausbrechen aus der klinischen Akkuratesse schätzt. Seine Gelassenheit im Sinne der Akzeptanz des Zufälligen, das das Lebendige in sich trägt und die Korrektur nicht zur Masche erstarren lässt, bringt Schönheit hervor. Um diese zu genießen, sollte man Lust an der optischen Verwirrungen haben und sich ein wenig Zeit nehmen.
Christoph Tannert (Oktober 2019)
Acceptance of the Incidental
Every system of order demonstrates consistency in its exceptions. The work produced by Matten Vogel is currently defined by grids and line systems. However, in his case him a grid is not a prison but rather a breathing structure that allows room for hiding places, for the artist to overstep conventional boundaries and, by touching on the realm of the uncertain and constantly triggering disappointment and illusion. Currently, Vogel’s grids are in the process of disintegrating. They nurture doubts about the certainty of knowledge. They are the product of a stringent past and are in search of an organic present. They are pushing forwards in space and are simultaneously starting to stagger. They are beginning to totter and are causing even us to oscillate, transporting us into a state that touches upon the duality of matter and spirit and results in us perceiving ourselves differently. Vogel shifts perspectives. In his 2019 “Rasterkorrektur” (Grid Correction) he starts by marking out a pattern on the base, then he tears off the markings for it, thus producing blemishes of a kind, blemishes which are subsequently corrected in a fashion that is not really finicky but rather is carefully feeling its way, with an open approach. Even his most recent pictures are governed by forces that are unconsciously controlled, forces that allow their energies to become reality by emerging from the gap between error and correction. Each picture is part of a process of searching, a self-reflection by the artist on the necessity and congruity of artistic decisions and the why behind them. A balance between an impression and oscillation go together. A minimum of intervention is part of the exploration of a picture and is the prerequisite for further research. The flickering shade of blue in “vBmgwL” (2019), for example, is the sizzling potential behind an exceptional composition. Time appears to have been nullified but nonetheless the impression of constant reworking and of pressing forward refuses to go away. Vogel’s line pictures look at us with such coolness that we do not know whether they have registered our questioning at all. They are iridescent grid constructions that not only fulfill our wishes, i.e., those of not being entirely pure, smooth and perfect, but also develop resistances, so that we are not entirely ruled by our desires. Some of them appear abnormal and lopsided, bundles of lines have been consciously twisted together in order to disconcert us chance guests on Earth. Vogel is at least as frequently engaged in constructing things as he enjoys breaking away from a clinical accuracy in his painting. His equanimity in the sense of his acceptance of the incidental, to which vibrancy is intrinsic, an unwillingness to let correction become a fad produces something beautiful. And in order to enjoy this, we need to take pleasure in visual perplexities and to allow ourselves a little time.
Christoph Tannert