Kalenderwoche / calendar week, 2012 – 2018
Ansicht aller Arbeiten der Serie / View of all works of the series
Die Radikalität von Kunst kann gerade in der strengen Formalisierung, in der konzentrierten Reduktion und der Abstraktion liegen. Diesem künstlerischen Prinzip folgt Matten Vogel, dessen „KW Serie“ trotz seiner regelmäßigen Strukturen keine Kontemplation erzeugt. Sondern eher eine beunruhigende Wirkung hat. Ende 2012 beschloss er, wöchentlich nach einer festgelegten Systematik und Größe jeweils ein Bild zu fertigen. Jede Woche trägt Vogel mit Bleistift ein Raster von Quadraten und Kreisen auf, um die Kreise mit Ölfarbe auszumalen. Ein Schaffensprozess oszillierend zwischen Selbstgeißelung, Versenkung und Trance. Titel des jeweiligen Bildes ist die Nummer der Kalenderwoche seiner Entstehung. Der erste Eindruck verheißt symmetrische Anordnungen schwarzer Punkte auf weißem Untergrund. Die Augen nehmen die Punkte wie ein sich auflösendes Bild wahr. Sie suchen nach Halt in einem Motiv und fokussieren vergeblich: Das Raster verschwimmt, denn außer der Reihung der Punkte ist nichts zu erkennen. Haben sich die Augen an die Irritation gewöhnt, machen sie Unterschiede, kleine Bildstörungen, Leerstellen und aus der Reihe tanzende Punkte aus und erinnern an die Ausfälle digitaler Bildschirme. Fast schon in einem Rausch der Automation malt der Künstler wöchentlich Punkt für Punkt aus, doch der Alltag fordert seinen Tribut. Hier ein Anruf, dort ein Termin und die Arbeit muss unterbrochen werden. Das sind die Momente, die zu Störungen und „Fehlleistungen“ führen und sich als undechiffrierbare Reflexe aus Matten Vogels Leben in das Bild einschreiben. Die KW-Serie hat somit eine autobiografische Note und jedes Bild ist das Konzentrat einer Woche im Leben des Künstlers.
Matthias Reichelt
Precisely what can account for art’s radicalism is its strict formalization, its determined reduction and its abstraction. One person who adheres to this artistic principle is Matten Vogel, whose “KW (week) series” does not favor contemplation, despite its regular structures. On the contrary, its effect tends to be a disturbing one. Vogel decided he would produce one picture per week of a stipulated size and following a predetermined system. Now, every week he uses a pencil to create a grid of squares and circles. He then fills out the circles using oil paint. A creative process that oscillates between self-flagellation, self-absorption and trance. The title of the relevant picture is the number of the week in which it was produced. The initial impression promises symmetrical arrangements of black dots on a white background. Viewers’ eyes apprehend the dots like a dissolving picture. They look for something to hold onto in a motif, attempting in vain to focus: the grid blurs because apart from the series of dots there is nothing to see. But once their eyes have become accustomed to this confusing situation they can make out differences, slight disruptions in the pictures, empty spaces and dots that are out of sequence, reminiscent of faulty digital computer screens. Almost in some kind of intoxicated state of automation, week for week the artist fills in dot after dot; however, everyday life takes its toll. Here a call, there an appointment and his work must be interrupted. These are the situations that lead to deviations and “blunders” that become inscribed in the pictures as indecipherable reflexes from Vogel’s life. Accordingly, the KW series has an autobiographical quality and each picture is the concentrate of one week in the artist’s life.
Matthias Reichelt
KW Serie
Mit der KW Serie stellt sich Matten Vogel einer ambivalenten Aufgabe, welche für ihn, in seiner künstlerischen Auseinandersetzung, Martyrium und Erlösung gleichermaßen ist. Schon in seiner Serie Under Compulsion fanden Unterbrechungen des Alltags Eingang ins Werk. Anders als damals führen diese nun nicht zum vollständigen Abbruch an den Arbeiten, sondern induzieren, vergleichbar mit einem abweichenden Messwert, eine veränderte Darstellung im Werk. Die Art der Störungen bleibt verborgen und wird ähnlich wie Andre Caderes Permutationen verschlüsselt in die Arbeiten übertragen. Doch ebenso wie in Under Compulsion und anders als Cadere gibt Vogel uns keinen Schlüssel in die Hand, um seine Rätsel nachträglich und mit eingehender Beschäftigung zu lösen. Auf verwirrende Weise bekommen die Arbeiten mit dem Wissen um die Darstellung des Alltags des Künstlers einen persönlichen Aspekt.
Im Herbst letzten Jahres setzt sich Matten Vogel das Ziel jede Woche für den Zeitraum von 2 Jahren eine Arbeit zu schaffen. Dabei folgt er seiner eigenen Versuchsanordnung indem er ein Raster aus feinen Bleistiftlinien auf eine weiß grundierte Holzfaserplatte legt und die kleinen Quadrate mit schwarzen Kreisen füllt. Die Formen selbst – Kreis und Quadrat – sind einfachste geometrische Figuren, fast schon die Einsen und Nullen in seinem analogen Kosmos. Doch im Rhythmus der Arbeit und dem Vorbeistreichen der Woche kommt es zu Störungen und Unterbrechungen, kleinen und großen Ablenkungen. Diese schlagen sich in den Arbeiten in Fehlstellen nieder – Felder bleiben leer, Punkte rutschen aus ihrer Bahn, es bilden sich Gruppen und kleine Cluster – das wandernde Auge wird gestört. Die auftretende Irritation in der Arbeit setzt sich im Betrachter fort. Damit stellt sich Matten Vogel in die Tradition der Idee des Minimalismus von einer Radikalisierung der Wahrnehmungsästhetik. So wird nicht dem einzelnen Kunstwerk, sondern Betrachter und Umraum eine werkkonstitutive Rolle zugewiesen. Ganz automatisch versucht das Auge Unterbrechungen auszugleichen und den begonnenen Rhythmus wieder aufzunehmen. Sind die Störungen von geringen Ausmaß, so mag dies noch gelingen, erweitern sie sich in mehrere Reihen, sieht man sich einem unentwirrbaren Punkt gegenüber, an dem es nur die Möglichkeit der Unterbrechung der Betrachtung oder der Akzeptanz der Störung gibt. Gleichzeitig unterwirft sich Vogel durch die Wahl seiner Methode einer Kompositionsidee, welche durch den frühen Minimalismus der 1960er Jahre abgelehnt wurde. Vielleicht ist es dann aber auch weniger Komposition als Konzept, das in den Arbeiten der KW Serie zum tragen kommt. Ein weiterer Aspekt seiner Arbeiten öffnet sich auf einer zeitlichen Ebene. Die Wiederholung des Prozesses steht im Gegensatz zum zunächst nicht offensichtlichen dokumentarischen Moment der Arbeiten. So ist jede Arbeit eine Timecapsel einer Woche und damit in ihrer seriellen Formation auch Ausdruck der Dialektik der Moderne mit ihrer Forderung eines autonomen Werkes. Die zeitliche Fixierung der Arbeiten findet direkt in der Ausstellung ein Echo, indem Matten Vogel einige Plätze unbelegt lässt, die dann nach und nach – Kalenderwoche für Kalenderwoche – über die Dauer der Ausstellung gefüllt werden.
Jill Leciejewski
The KW Series
With his KW Series, Matten Vogel has set himself an ambivalent task, which, for him, in his artistic debate, entails both martyrdom and redemption. The interruptions of everyday life had already found their way into his work in his Under Compulsion series. Unlike in the past, these interruptions have not ended his totally abandoning this work, they have evoked – not unlike a deviant reading – a different presentation within the work itself. The nature of the interruptions remains unclear and is, not unlike Andre Cadere's permutations, transferred encoded into the works. As in Under Compulsion, but in contrast to Cadere, Vogel does not hand us a key that would allow us to solve his riddle belatedly, after thorough examination. In a puzzling way, once we know how the artist depicts his daily life these works acquire a personal quality.
Last autumn, Matten Vogel set himself the goal of creating one work a week over a period of two years. To this end, he applied his own experimental procedure, which involved laying a grid of fine pencils on white-primed fibreboard and filling the small squares with black circles. The forms themselves – a circle and a square – are the simplest of all geometrical figures, and are, so to speak, the ones and the zeros in his analogue cosmos. In his working rhythm, however, and during the course of the week, disturbances and interruptions, as well as minor and major distractions occur. They find expression in his works as imperfections: fields remain empty; dots slip out of their orbits; groups and small clusters form, disturbing the wandering eye. The irritation expedient in his work persists within the discerning viewer, too. Here, Matten Vogel follows traditional minimalist idea of radicalising the aesthetics of perception. Consequently, it is not the individual artwork, but the viewer and the surroundings that are assigned the role of constituting the work. The eye automatically attempts to compensate for any interruptions and to resume the existing rhythm. If disturbances are slight, this procedure may succeed; but if they extend along a number of rows, the viewer will be confronted with a tangled knot, so to speak, which can only be undone by either looking away from the source of the disturbance, or by accepting it. At the same time, Vogel, through his choice of method, subscribes to a compositional idea that was rejected by the Minimalism of the 1960s. Perhaps it is, therefore, not so much a composition as a concept which finds expression in the KW series' works. Another aspect of his works reveals itself at a temporal level: the repetition of the process stands in marked contrast to the documentary aspect of his work, which is not immediately evident. Consequently, each work represents a week-long time-capsule and is thus, in its serial formulation, also the expression of a dialectic of modernity, with its insistence on the autonomy of a work. The temporal fixation of the works finds its immediate echo in the exhibition, since Matten Vogel leaves some spaces empty.: these are then filled, little by little – calendar week for calendar week – during the course of the exhibition.
Jill Leciejewski